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Ein in letzter Zeit häufig verlangter und in der Teleakademie des SWR 3 und 3SAT gesendeter Vortrag:

Zivilcourage – in Deutschland ein Fremdwort?

Zurede zu einer demokratischen Grundtugend

Obwohl inzwischen als eine der wichtigsten politischen und menschlichen Grundtugenden und Bürgerpflichten erkannt, kommt das Wort Zivilcourage in unserem Grundgesetz nicht vor.

Die Artikel 1 bis 19 enthalten die Grundrechte – die Würde des Menschen, das Recht auf freie Entfaltung, auf Leben und Unversehrtheit, auf Gleichheit, Glaubens-, Gewissens-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, auf freie Berufswahl, auf Eigentum usw.

Auch wenn darin nicht ausdrücklich enthalten, entsprechen diesen Rechten auch Pflichten, z.B. Dienstpflichten, Steuerpflicht, Unterhaltspflicht (das Wahlrecht gehört bei uns nicht zu den Pflichten).

Und wenn wir daraus nicht nur eine Schulbankdemokratie  mit Institutionen und Regularien ableiten wollen, ergeben sich daraus auch bestimmte Gesinnungen, die allerdings nicht festgeschrieben sind. Zu ihnen gehören die Mitverantwortung, die politische Bildung und Orientierung, die Toleranz und Gleichachtung anderer, vor allem von Minderheiten und – dies wird immer deutlicher – auch die Bürgertugend der Zivilcourage.

Das Grundgesetz hat seine Prüfung bestanden, aber haben wir, das Volk, schon die Prüfung vor der Geschichte bestanden? Besitzen wir die demokratische Qualifikation, die wir im Ernstfall brauchen? Und der Ernstfall wird nach menschlichem Ermessen im zivilisierten Europa nicht mehr der Krieg, sondern der Friede sein.

Wenn ich recht sehe, wächst in unserer Gesellschaft die Tendenz zum Ausweichen, zum Rückzug: nur nicht auffallen, nur nicht in was hineinkommen, nur keine Unannehmlichkeiten!

Da werden Tiere – oder noch schlimmer Kinder – gequält, verhungern gar, ohne dass Nachbarn (geschweige denn Ämter) dies bemerken wollen oder sich einmischen oder auch anzeigen. Da werden Ausländer von jungen Rowdys überfallen, geschlagen, niedergetrampelt – Passanten schauen zu oder weg, was auf das gleiche hinausläuft.

Wir begehen immer wieder den 20. Juli  und damit das Gedenken an den historischen deutschen Widerstand vor 65 Jahren, den wir als leuchtendes Zeichen für Zivilcourage feiern und gleichzeitig zum Beweis dafür nehmen, dass wir Deutsche doch nicht so untertanenfromm und diktatorenhörig sind. Diesem gescheiterten Widerstandsversuch verdanken wir indirekt auch unser Grundgesetz – von Vorbild und Vertrauen der westlichen Siegermächte in unsere Wandlungsfähigkeit einmal abgesehen.

Grundlage unserer Rechts- und Lebensordnung ist die Menschenwürde, deren stummem Maßstab unsere Gesellschaft ständig unterliegt. Was enthält sie? Sie zeichnet den Menschen als eine unverlierbare Qualität aus, die jedem Menschen eigen ist, gleich, ob schwarz oder weiß, Christ oder Moslem, gesund oder krank, schön oder hässlich, geistesschwach oder genial, Verbrecher oder Heiliger. Unsere Verfassung ist von riskanter Weitherzigkeit, gerade an ihren Fundamenten. Sie ist es aus gutem Grund. In ihr klingen die Verbrechen gegen die Menschenwürde noch nach aus der Zeit, die ihr vorausging.

An Menschenwürde und Menschenrechten orientiert sich auch die Bürgertugend der Zivilcourage, die sich etwa so definieren lässt: Beherztes Eintreten von Einzelnen oder Gruppen in kritischen Situationen für die Rechte von Menschen unter Inkaufnahme von Nachteilen und Gefahren mit friedlichen Mitteln (übrigens ist nicht nur das Recht zum Widerspruch, sondern sogar zum Widerstand in unserer Verfassung verankert,  wenn es um den Erhalt der verfassungsmäßigen Ordnung geht und andere Abhilfe nicht möglich ist: Art. 20,4)

 

Deutscher Widerstand?

"Mut auf dem Schlachtfelde ist bei uns Gemeingut, aber Sie werden nicht selten finden, dass es ganz achtbaren Leuten an Zivilcourage fehlt", sagte Bismarck, der damit dieses Wort in die deutsche Sprache einführte.

Heute ist es in aller Munde, gleich zeitgemäß und unzeitgemäß, viel gelobt und wenig geliebt, leicht gesagt und schwer getan, oft genannt, kaum bekannt – letzten Endes bis heute in Deutschland ein Fremdwort. Und dabei gelten doch Mut und Tapferkeit als besondere Tugenden der Deutschen. Sollten sie nur in der Uniform und nicht im Herzen stecken? Sollte der Mut vor Langemarck und in Stalingrad geblieben sein, oder ist der zivile Mut vom militärischen so verschieden, dass man ihn nur mit einem Fremdwort bezeichnen kann? Auf diesen merkwürdigen Zwiespalt weist Bismarck hin und führt aus: Wenn ich einem preußischen Leutnant den Befehl erteile, einen von Feinden besetzten Hügel zu stürmen, wird er, ohne mit der Wimper zu zucken, aufspringen, seine Brust dem feindlichen Geschoßhagel entgegenhalten und für das Vaterland sterben. Bitte ich ihn, wenn es bergan geht, seiner Frau den Kinderwagen zu schieben, wird er  diese Zumutung entrüstet ablehnen.

Die Fragwürdigkeit militärischen Mutes auf dem Grunde bedingungslosen Untertanengehorsams ist heute, nachdem er uns durch die Katastrophen geführt hat, nicht mehr beweisbedürftig. Aber mit dem Verlust einer fragwürdigen Tugend haben wir nicht von selbst eine erstrebenswerte gewonnen. Das zivile Leben scheint uns – da nicht permanent lebensgefährlich – kein Feld für Bewährung und persönlichen Mut zu sein.

Eine Zivilgesellschaft erfordert Zivilcourage.

Das war schon nach dem 1. Weltkrieg so. Mit Recht hat der damalige Bundespräsident Johannes Rau im Februar zum 80. Jahrestag der Eröffnung der Nationalversammlung in Weimar, die die erste demokratische Verfassung in Deutschland entwarf, mehr Zivilcourage gefordert. Weimar sei nicht am System zusammengebrochen, sondern weil es nicht genug überzeugte und das heißt eben auch engagierte Demokraten gab. In der Tat: 1933 gab es keinen Generalstreik. Und wo waren bei der verblüffend schnell durchgesetzten totalitären Diktatur, die auf Menschenrecht und Grundwerten des Lebens vereidigten Berufsstände, die Richter, die Ärzte, die Lehrer, die Pfarrer, die sich gegen das Unrecht erhoben hätten? Als guter Deutscher hatte man zu folgen – schon die Kinder lasen "Hilf mit". Durch die Schule des deutschen Beamtentums gegangene Staatsdiener wären allerdings wohl noch zu ganz andern Erniedrigungen bereit gewesen, um den Herrschenden zu gefallen.

Ich zitiere Alfons Wenzel: 'Zivilcourage im öffentlichen Dienst':

Als  am 1. Mai 1933, der auf Goebbels Initiative zum nationalen Feiertag ("Tag der deutschen Arbeit") proklamiert worden war, an die Beamten der Aufruf erging, mit Hakenkreuz-Armbinde an den Märschen und Kundgebungen teilzunehmen, folgten fast alle diesem Appell. Die Beteiligung war so groß, dass einer der Teilnehmer an diesem Maiaufmarsch in München, ein höherer Staatsbeamter, zu seinem Nebenmann sarkastisch bemerkte: "Recht geschieht's uns; wenn morgen einer kommt und befiehlt, dass die Beamten zum Zeichen der nationalen Gesinnung mit dem Nachttopf auf dem Kopf aufmarschieren, dann werden sie es auch tun!"

Damals war noch kein Theodor Heuss Präsident, der einem Juristen bei der Einstellung erklärte: "Die Pflicht zum Widerspruch ist im Gehalt inbegriffen."

Welch ein Präsident! Welch ein Präsident aber auch jener bayrische Hofgerichtspräsident, der auf das im Jahre 1651 an ihn gerichtete Ansinnen des Kurfürsten Maximilian, künftig die Urteile gemäß der Ansicht der Regierung zu sprechen, nur antwortete, dann wolle er "lieber Sauhirt als Präsident" sein. Das Ansinnen kam danach häufiger, und an akademischen Sauhirten wäre bis in die Gegenwart kein Mangel gewesen, hätten sich alle Richter der Zumutung politischer Justiz versagt.

Zivilcourage ist eine humane, keine nationale Qualität. So ist nicht erst der deutsche Widerstand ein Beispiel, an das es zu erinnern gilt.

Als die norwegischen Nationalsozialisten sich in die Rechtsprechung der Gerichte einmischten, legten die Mitglieder des Obersten Gerichtshofes geschlossen ihre Ämter nieder. Danach stellten die Bischöfe ihr Amt zur Verfügung, aus Protest gegen den Zugriff auf die Gerichtsbarkeit und auf die Erziehung der Kinder.

Später legten von 860 Pfarren 800 ihre Ämter nieder, verzichteten auf ihr Gehalt, hielten jedoch unbeamtet weiter Gottesdienste ab. Es gelang Quisling nicht, Pfarrer in nennenswerter Zahl zu finden, die ihm ergeben waren. Am schärfsten spitzte sich der Kampf um die Schule zu, als das Regime von den Lehrern verlangte, sich dem nationalsozialistischen Lehrerbund anzuschließen und die Kinder in seinem Sinne zu erziehen.

12 000 von insgesamt 14 000 Lehrern weigerten sich offen. Quisling versuchte mit Hilfe der deutschen Besatzungsmacht und der Gestapo, den Widerstand mit Gewalt zu brechen. Tausend Lehrer wurden deportiert. Die Kunde von ihrer brutalen Behandlung rüttelte die Nation erst recht auf und schweißte sie so fest zusammen, dass der Kampf schließlich mit einer Niederlage für die Nationalsozialisten endete.

Dieses Beispiel ist kaum noch bekannt, und ich meine, es verdient aus dem Abgrund der Vergessenheit wieder in die Gegenwart, mindestens durch eine solche Erwähnung, hervorgeholt zu werden.

Gab es keine deutschen Beispiele in jener Zeit?

 

Widerstand in der Diktatur

Drehen wir die Geschichte 65 Jahre zurück: Es ist Krieg. Die Deutschen Soldaten kämpfen an allen Fronten – tapfer, wie sie es ihrem Ruf in der Welt schuldig sind. Mancher Heldenfriedhof und mancher Gedenkstein zeugen davon. Kriegscourage wird uns, wie gesagt, nicht bestritten.

Aber wo sind die Gedenksteine für Zivilcourage?

Es ist Krieg. Im Konzentrationslager Sachsenhausen wird jeden Morgen beim Appell der SS ein Häftling gefragt, ob er bereit sei, Kriegsdienst zu leisten. Wenn der Befragte verneint, wird er vor versammelter Mannschaft gehenkt. Er ist 'Ernster Bibelforscher'. Auf ihn folgt am anderen Morgen ein anderer.

Augenzeuge ist der spätere Kirchenpräsident Martin Niemöller. Er berichtet, es sei nie vorgekommen, dass ein Mitglied dieser Glaubensgemeinschaft seinen Glauben verraten habe. So wurden etwa 10 000 Zeugen Jehovas  zu Opfern der Diktatur und zu Märtyrern für ihre Standhaftigkeit im Glauben.

Und die Christen außerhalb der KZ? Als die deutschen Juden aus ihren Häusern geholt und in die Lager abtransportiert wurden, nahmen wir das alle hin. Es sind nur einige Fälle bekannt geworden, in denen ein Mensch, sich bis zur Hingabe seines Lebens widersetzte so Janosz Korczak, der mit den Kindern seines Waisenhauses in die Gaskammer ging, oder Pater Maximilian Kolbe, der sich stellvertretend für einen Familienvater umbringen ließ.

Was wäre geschehen, wenn ein ganzes Volk wie ein Mann oder diese zwei gehandelt hätte? Wäre nicht an diesem massiven Widerstand dann doch die Vernichtungsmaschinerie zusammengebrochen, wie etwa auch durch die Predigt des Münsteraner Bischofs Graf Galen gegen die Vernichtung sogenannten lebensunwerten Lebens? Daraufhin wurde diese Maßnahme zurückgenommen.

Ein anderes Beispiel ist der Frauenprotest in der Berliner Rosenstraße in der ersten Märzwoche 1943, von der ehemaligen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth als 'Widerstand des Herzens' bezeichnet: Mehrere hundert Menschen, überwiegend Frauen, demonstrierten gegen die ihnen drohende

Verschleppung ihrer jüdischen Ehepartner, die in der Rosenstraße, mitten in Berlin, interniert waren. Fast alle Gefangenen wurden aufgrund des öffentlichen Protestes wieder frei gelassen. 25, die bereits nach Auschwitz deportiert worden waren, kamen zurück und überlebten den Holocaust. "Zivilcourage machte etwas möglich, was unmöglich erschien." (Rita Süssmuth)

 

Zivilcourage im Alltag

Wir täten jedenfalls gut daran, es auf neue Bewährungsproben nicht ankommen zu lassen. Wer den Widerstand in lebensgefährlichen Situationen und Zeiten vermeiden will, tut gut, den Widerspruch zu rechten Zeit und am rechten Ort früh einzuüben. Darum sagte Willy Brandt mit Recht: "Wo die Zivilcourage keine Heimat hat, reicht die Freiheit nicht weit."

Jahre und Jahrzehnte lang meinten wir, die etablierte Demokratie und die funktionierende Marktwirtschaft, die Wohlstand für alle zu sichern schien, hätten das persönliche Engagement mit dem eigenen Mut zum Risiko

überflüssig gemacht. Ist sie so vergessen oder so indiskutabel selbstverständlich, oder was ist der Grund dafür, dass man den Begriff Zivilcourage im Lexikon vergeblich sucht. In der Demokratie gehört sie aber zu den elementaren Tugenden. Wer sich dem auf die Dauer entzieht, darf sich nicht wundern, wenn Gewalt und Willkür, autoritäre und totalitäre Herrschaft auch bei uns wieder um sich greifen.

"Jedes Volk verdient die Regierung, die es erträgt, heißt es im Flugblatt der 'Weißen Rose'. Die Geschwister Scholl und ihre Gruppe haben ihre Zivilcourage gegen die Diktatur mit dem Leben bezahlt – übrigens auch der Denunziant, der Pedell der Universität, der sich später aus Reue und Verzweiflung das Leben nahm.

An dieser Stelle ist es Zeit,  auch einmal der vielen namenlosen Dissidenten und Bürgerrechtler in der ehemaligen DDR zu gedenken, die im Kampf um Freiheit und Menschenrechte, Verhaftung, Folter und Tod auf sich nahmen.

Stellvertretend für sie erhielt Wolf Biermann einen Preis für Zivilcourage,  mit 150 000 DM dotiert, was ihn zu der sarkastischen Bemerkung veranlasste: "Armes reiches Deutschland, wo für ein bisschen Zivilcourage schon Staatspreise verliehen werden müssen."

Aber am Ende des Widerstandes gegen die DDR-Diktatur stand die 'sanfte Revolution', die von den Montagsumzügen der Leipziger Nikolaikirche ausgingen – ein gelungenes Beispiel gewaltfreien Widerstandes.

Was war das bewegende und besondere jener Revolution des Jahres 1989 – 200 Jahre nach der Französischen Revolution? Das Volk ging friedlich auf die Straße, tat es regelmäßig und wuchs dabei schließlich zu unübersehbar großen Massen an. Es verhielt sich absolut gewaltfrei, Sprechchöre artikulierten sich, vor Polizisten wurden Kerzen entzündet, Blumen überreicht, jede Provokation vermieden. Klare, einfache Thesen wurden verkündet: Wir sind das Volk, Demokratie jetzt, freie Wahlen und freie Ausreise: ohne Visa bis nach Pisa. Das war es – außer der wachsenden inneren Schwäche des Systems –, was den scheinbar so monolithischen und mächtigen Staat zum Einsturz brachte.

Und nun können wir in Ost und West gemeinsam trotz aller noch vorhandenen Differenzen Jahr für Jahr die deutsche Einheit feiern.

Bei der großen Abschiedsfeier von Bundestag und Bundesrat, die mit dem Stabwechsel der Präsidenten verbunden war, pries Bundestagspräsident Wolfgang Thierse die Nachkriegszeit als "die glücklichste Phase deutscher Geschichte". Damit sei der Beweis erbracht, "dass Geschichte auch einmal gut ausgehen kann". Die Demokratie in Deutschland werde erwachsen. Darum gilt nun, nach dem Jahrhundert der furchtbarsten Kriege: Der Friede ist der Ernstfall, aber auch für ihn müssen wir uns rüsten. Darum nochmals zur Unterscheidung:

 

Kriegs- und Friedensmut

Was ist es, das im Einzelnen die Zivilcourage, also den Mannesmut vor Fürstenthronen oder noch mehr: vor Konventionen, von der Tapferkeit vor dem Feind unterscheidet?

Zunächst wohl dies: Zivilcourage findet unter sehr viel komplizierteren Bedingungen statt. Man steht nicht so unausweichlich zwischen Befehl und Gehorsam, Leben oder Tod, sondern hat meist zwischen sehr viel schwerer abzuschätzenden Alternativen mit noch unabsehbaren Konsequenzen zu entscheiden, wenn man in die Lage kommt, sich gegen die herrschende Macht oder die herrschende Meinung zu wenden. Die Widerstände wirken nicht nur von außen auf uns ein, sondern auch von innen, durch das Wertgefüge, in das die Mächte uns einspannen. Konventionen: wie etwa Vorurteile gegen Gastarbeiter, Benachteiligung der Frauen im Beruf, und nicht nur im Beruf, Diffamierung Andersdenkender, kann man schwerlich bekämpfen, wenn man selbst durch Erziehung oder Gewöhnung von ihnen geprägt wurde.

Der Gegner steht nicht sichtbar und als Feind deutlich gekennzeichnet vor uns. Wir haben es meistens mit unsichtbaren Gegnern zu tun, mit unrechtmäßigen Machtansprüchen, unbegründeten Vorrechten, mit Dummheit, Angst, Heuchelei, überlebten Traditionen, Anmaßung oder mit Zeittendenzen und einer öffentlichen Meinung, die keinen Widerspruch duldet.

Statt Haut und Leben wie im Krieg riskiert man Ruhe und Ruf, Ärger, Schwierigkeiten, Unterstellungen und häufig genug gesellschaftliche Isolierung.

Das Merkwürdige ist, dass die Zivilcourage als Tugend sich allgemeiner Wertschätzung erfreut, ebenso wie die mit ihr untrennbar verbundene Wahrheitsliebe. Das gilt aber nur im Allgemeinen, jedenfalls dann im Einzelfall nicht, wenn sie sich – und sonst wäre sie keine Courage – gegen anerkannte Mächte und Meinungen wendet. In solchen Situationen ist es im Gegenteil sehr riskant, Wahrheiten beim Namen zu nennen. Die Mächtigen – und auch die Mehrheit ist eine Macht – schätzen es nicht, wenn unbequeme Tatsachen überhaupt zur Kenntnis genommen, noch weniger, wenn sie ausgesprochen werden. Wer ein unbehelligtes und friedliches Bürgerdasein führen will, tut gut daran, diese Konvention zu beachten. Der Einzelgänger mit Zivilcourage setzt sich immer dem Vorwurf aus: "So etwas sagt man eben nicht!", er ist ins 'Fettnäpfchen' getreten. "Dabei tut man in der Regel so, als sei nicht das kritisierte Übel als solches das eigentlich Verwerfliche, sondern nur der Umstand, dass es jemand wagt, es zu erwähnen." (Alfons Wenzel)

Nun gibt es aber überall Missstände. Soweit es sich um solche von öffentlicher Bedeutung und politischer Tragweite handelt, wird in der Demokratie eine wache Presse sich ihrer annehmen, die selbst in einer freien Gesellschaft eine beträchtliche Macht mit der Aufgabe der Kontrolle, der Gegenkontrolle darstellt. Auch das ist nicht ohne Risiko, wie das Schicksal unzähliger kleiner Journalisten, die Ihre Stellung wechseln mussten, erweist. Immerhin gibt es hier eine Kollegialität der freien Publizistik, die heute für den Mutigen das Risiko verringert.

Anders ist das im Alltag des einzelnen Bürgers, der Missständen ja keineswegs seltener, sondern wahrscheinlich sogar häufiger begegnet als der Publizist in einem großen und ganzen rechtlich geordneten Gemeinwesen. Gegen die Erniedrigung eines Arbeitskollegen im Beruf, gegen unsaubere Geschäftspraktiken des Vorgesetzten oder mangelnde Fairness in der eigenen Interessengruppe wirksam zu protestieren, ist eine dornenvolle Aufgabe. Sehr schnell, so weist Wenzel in seinem Buch 'Zivilcourage im Öffentlichen Dienst' nach, erklärt der "Höhergestellte dem Widersprechenden, sein Ton sei unmöglich, er möge die persönlichen Konsequenzen ziehen. Der zufällig Mächtigere entzieht dem Unbotmäßigen sein Vertrauen, selbst wenn zwischen beiden nie ein Vertrauensverhältnis bestanden hat. Derjenige, der standhaften Mut bewiesen hat, wird zum Abschießen freigegeben. Der Höherbezahlte verbreitet herabsetzende und rufschädigende Äußerungen über den Unverschämten, die von devoten Augendienern papageienhaft nachgeplappert werden, so dass daraus eine regelrechte Diffamierungsaktion werden kann". Wir wissen es alle: Ob wir diplomatisch vorgehen oder nicht: "Es ist gefährlich, aufrichtig zu sein, außer wenn man auch dumm ist", wie George Bernard Shaw in seinem "Katechismus des Umstürzler" schreibt.

Im entscheidenden Augenblick ist man allein, und ob das Recht, das man in sich, gegen die Macht, die man um sich spürt, immer stärker sein wird, ist ungewiss.

Sicher wird man auch Solidarität erfahren, die vielleicht noch am ehesten der Frontkameradschaft der Tapferen vergleichbar ist, wenn auch frei von Kumpelei und Spießgesellentum. Man ist verbunden nicht durch äußere Gefahr, unfreiwilliges Zusammensein und gleichen Überlebensinteressen, sondern durch die Sache, die es zu vertreten gilt, und hat damit eine tiefere Bindung. Diese Gemeinsamkeit gehört zu den schönsten Erfahrungen für den, der einmal außerhalb der herrschenden Konvention gestanden hat und die Menschen nach ihrer Echtheit und Verlässlichkeit zu unterscheiden lernte. Er wird für den Verlust an Anerkennung und Lob durch das Verständnis und die Freundschaft kritischer Köpfe und starker Herzen reichlich entschädigt.

Allerdings gibt es eine ganz andere, aber nicht minder handlungsfähige Solidarität auch auf der anderen Seite.

 

Innere Widerstände

Wenn man Vorrechte und Vorurteile angreift, wird man den merkwürdigen Konsens der Mächtigen kennenlernen, der jeden Versuch zum Widerstand außerordentlich erschweren, ja entmachten kann. Er geht oft quer durch alle etablierten Institutionen. Das liegt nicht nur an den Interessen und Privilegien, die vielfach miteinander verflochten sind, sondern auch an einem feiner gesponnenen Netz gegenseitiger Rücksichtnahme, das nicht minder zäh ist. Schließlich hat man nicht nur selber Bedenken, sondern muss auch noch die Bedenken anderer bedenken. Was wird man – je nach ausmaß des Falles – im bischöflichen Ordinariat oder im Landeskirchenamt, im Innenministerium oder auch nur bei der Mehrheitsfraktion im Gemeinderat, beim Vertriebenenverband oder der Berufsorganisation der Schornsteinfeger, was werden vor allem der Chef oder die Nachbarn, die Presse und das Ausland dazu sagen, das Landvolk und die Frauenverbände? Wer will sich schon mutwillig Ärger auf den Hals hole, Beschwerdebriefe, Telefonate und sich nachher womöglich noch  mit allen Leuten herumstreiten?

So stellt sich leicht das Gefühl ein: Es nützt ja doch nichts. Ich schade vielleicht nur anderen und mir selbst. Und man droht zurückzusinken in den Privatismus, den man eben noch zu sprengen im Begriffe war. Man sagt sich: Jeder andere lebt ja auch unauffällig, man tut das Seine, sorgt für das Seine. Warum gerade ich?

Der Privatismus der übrigen ist nicht nur wegen seiner Ansteckungskraft gefährlich, sondern er schlägt auch – plötzlich kollektiv vereint – über dem, der sich exponiert, zusammen. Jeder, der nur für sich sorgt, unterstellt das auch jedem anderen. Wer zu feige ist, gegen offenbare Missstände aufzutreten, ist meistens auch zu feige, seine Unterstellungen offen auszusprechen. So begegnet der Mutige nur den Spuren des Klatsches, einer schwer zu fassenden Isolation, mit der jeder rechnen muss, der aus der Konvention heraustritt und sie damit für fragwürdig erklärt.

Das ist nicht weiter schlimm, solange Zweifel und Anfeindung außen bleiben. Schlimm wird es erst, wenn sie unter die eigene Haut gehen und sich mit eigenen Bedenken und Vorwürfen verbinden. Kann es denn sein, dass ich recht habe und die Mehrheit unrecht? Normen, die von früher her binden, setzen sich in den Nacken: die Gehorsamsforderung der Gesellschaft, die gerechte Weltordnung, die man antastet, wenn man sich gegen eine Autorität oder gegen eine herrschende Meinung stellt. Die Frage: Bin ich legitimiert, sind meine Motive lauter, hätte nicht nur ein besserer Mensch als ich ein Recht, diese Sache zu vertreten? Man prüft sich, und das ist gut.

Manchmal heißt es auch, Zivilcourage gegen sich selbst zu üben! Goethe hat recht, wenn er im 'Tasso' sagt: " Der Mut stellt sich die Wege kürzer vor".

Vielleicht legt man die Hand an den Pflug und blickt zurück, und das ist schlecht. Die eigene Vergangenheit, die genossene Erziehung, vermögen nicht nur zu tragen, sondern auch zu lähmen. Im Grunde verlangt Zivilcourage psychologisch etwas fast Paradoxes: Die Vereinigung von Sensibilität, Gerechtigkeitssinn, Mitgefühl auf der einen und Stärke, Selbstvertrauen, Entschlusskraft auf der anderen Seite – eine nicht selbstverständliche und darum sicher auch seltene Kombination.

Es gibt keine Zivilcourage in Permanenz, mitunter liegt sie nur in einem Punkt, in dem sich gereifte Erkenntnis und dunkle Eingebung, Naivität und Kalkül, Spekulation und Faszination treffen. "Auch der Mutigste von uns", sagt Friedrich Nietzsche, "hat nur selten den Mut zu dem, was er eigentlich weiß."

Es sind immer nur bestimmte Situationen, in denen Zivilcourage von uns verlangt wird, auch in demokratischen Gesellschaften. Für die Zivilcourage gilt dasselbe, was Reinhold Niebuhr von der Demokratie sagt: "Die Fähigkeit des Menschen zur Gerechtigkeit macht sie möglich, aber die Neigung des Menschen zu Ungerechtigkeit macht sie nötig". Wenn die Macht auf Seiten des Unrechts und das Recht auf Seiten der Ohnmacht ist, wird Zivilcourage fällig. Bleibt sie aus, so ist im Denken und Fühlen der Menschen die Relation von Macht und Recht schon gestört – und das ist schlimmer als in den äußeren Verhältnissen – oder es wird die Folge sein. Innere Freiheit bei äußerer Unfreiheit, innere Wahrhaftigkeit und private Rechtsgesinnung bei verbreiteter Lüge und herrschendem Unrecht auf die Dauer bewahren zu wollen, ist eine bürgerliche Illusion. 

Unrecht, das nicht angegriffen, Unwahrheit, die nicht widerlegt, falsche Vorurteile, die nicht aufgeklärt werden, verbreiten sich weiter und gelten schließlich als gerechtfertigt. Macht, die als Willkür über die Stränge schlägt, erfordert als Pendant die freie Ohnmacht, die als Zivilcourage über die Stränge schlägt.

Welcher Art sind unsere Bewährungsproben, in denen es Zivilcourage zu zeigen gilt?

Sie sind nicht vorausberechenbar, treffen uns meistens unerwartet, sind aber zahlreich wie Sand am Meer, und man kann nur einige wenige stellvertretend für tausend andere nennen.

Es beginnt bei der Verkäuferin, von er wir uns etwas aufschwatzen lassen, weil wir nicht wagen, abzulehnen und unverrichteter Dinge zu gehen, nachdem sie uns einige Artikel gezeigt hat. Oder dass wir uns am Schalter unhöflich behandeln lassen, ohne höflich zu bitten, höflicher zu sein. Wagt jemand von uns, einen nicht ganz korrekten Kassenzettel im Supermarkt zu reklamieren, jemanden anzusprechen, der bei einer Warteschlange sich vorzudrängeln versucht, einer Mutter, die ihr Kind offensichtlich falsch behandelt, einen freundlichen Rat zu geben, dem Quälen von Tieren, der Erniedrigung von Menschen im Betrieb, dummen Redensarten über unseren Staat oder die Verharmlosung des sogenannten "Dritten Reiches" entgegenzutreten, die Teilnahme am Klatsch über Abwesende zu verweigern, seinen vollen Namen unter einen Leserbrief zu setzen? Wagen wir etwas gegen einen Vorgesetzten zu sagen, obwohl wir ganz genau wissen, dass er Verwendungsnachweise für den Rechnungshof frisiert, nicht ganz korrekte Beurteilungen schreibt, zu Autoritätspersonen freundlich ist und sie anschließend schlecht macht, der sich verleugnen lässt, obwohl er da ist, gegen den Lehrer, der eine einseitige Meinung vertritt und keine andere gelten lässt, und was der Situationen mehr sein mögen.

Der Alltag könnte auch so aussehen:

Münchner U-Bahn: Helllichter Nachmittag, kurz vor 17.00 Uhr. Die Abteile sind halbgefüllt, als drei kräftige Kerle – kurzer Haarschnitte, Lederjacke, Lederstiefel – hereinpoltern und nach kurzer Umschau in der Sitzecke, in der noch drei Sitze frei sind – den vierten hat eine farbige Schülerin besetzt – sich lärmend auf die Sitze fallen lassen. Sie fangen an, zweideutige Witze über das schon verängstigte Mädchen zu machen, rücken ihr Zentimeter für Zentimeter näher, und schließlich legt einer der – offenbar angetrunkenen – Burschen seine Prankenhand auf ihre kleine, versucht sie umzudrehen mit der Frage: "Bist du da drunter eigentlich auch schwarz?" Das Mädchen schreit vor Angst auf, und je mehr es sich wehrt, umso mehr Spaß haben die Kerle, und umso zudringlich-dreister werden sie.

Der ganze Wagen hat inzwischen wie gebannt die Blicke auf die Szene gerichtet – teils entsetzt, teils angewidert, teils verängstigt und fluchtbereit, nur eine einfache Frau, noch dazu eine zierliche Erscheinung, erhebt sich entschlossen, geht auf die Gruppe zu und sagt kurz und energisch: "Lasst das Mädchen in Ruhe, sonst kriegt ihr's mit mir zu tun!"

Was die Drohung beinhaltet, ist schwer zu ermessen, denn einer körperlichen Auseinandersetzung wäre sie in keine Weise gewachsen. Aber die Worte wirken: Der Bursche zieht seine Hand zurück, macht noch eine nicht verständliche Bemerkung, und alle drei trotten zur Tür und lehnen sich an die Trennwand – leise palavernd –, bis sie an der nächsten Station sich verdrücken und aussteigen.

Die Menschen im Wagen sind erleichtert und beglückwünschen die Frau. Eine Mitfahrerin steht auf, keiner sonst hätte in dem Ereignis einen Anlass zur Zivilcourage gesehen. Und dies ist die leider häufigere Erfahrung. Fernsehteams haben mehr als einmal Situationen simuliert, in denen auf der Straße ein Schwächerer von einem vermeintlichen Rowdy angegriffen, geschlagen und niedergeworfen wurde. So gut wie immer gingen die Passanten weiter, schauten weg oder schauten sogar interessiert, aber tatenlos zu. Ein Beispiel entnehme ich der Presse: Ein sechzehnjähriges Mädchen wird in der S-Bahn zwischen Bochum und Dortmund von drei siebzehn- bis zwanzigjährigen jungen Männern sexuell belästigt. Schließlich nehmen die drei ihr noch Handy, Schuhe und Geldbörse weg. Das Mädchen verließ auf Socken den Zug. Die Täter entkamen unbehelligt.  Zivilcourage ist bei uns noch viel zu ungeübt, zugegeben: auch nicht immer ungefährlich. Darum wohl schauen die meisten weg und mögen weder Haut noch Ruf riskieren. Aber offenbar ist auch eine in Jahrzehnten entwickelte Demokratie, ein Netz, das auf Freiheit und Gleichberechtigung beruht, von Zeit zu Zeit auf diese Risikoakte zivilen Mutes angewiesen. Risiko ist der Preis der Freiheit!

 

Risiko – Preis der Freiheit

Sollten wir dies vergessen oder verdrängen, so verspielen wir damit auch Stück um Stück politische Moral und Menschenrechte. Kommt eine Gesellschaft erst einmal auf die schiefe Bahn, beschleunigt sich ihr Absturz ständig.

Wodurch wird ein mutiges Engagement in unserer Gesellschaft erschwert? Am meisten wohl durch den Pluralismus und den Individualismus, die Kehrseite unserer Freiheit in einer marktwirtschaftlichen Konsumgesellschaft. In ihr wird der Bildungskanon von anderen Programmen und Richtzielen bestimmt. Schüler müssen an effiziente Abschlüsse und – ebenso wie ihre Lehrer und Berufsausbilder – an die künftige Karriere denken. Man will 'in' sein, aber nicht non- konformistisch. Dabei ist Erziehung heute an sich schon ein Unternehmen, das Zivilcourage erfordert – gegen Elternverwöhnung und Kinderwillkür, gegen Jugendterror und Medienkonkurrenz.

Auf der anderen Seite fühlen sich Schüler und Auszubildende häufig überfordert, wenn sie gegen autoritäre Amtsanmaßung, ungerechte Beurteilung oder gegen geisttötende Lernzwänge protestieren sollen. Es könnte ja schließlich die Abschlussnote und das Fortkommen gefährden.

Darum ist die wichtigste Voraussetzung für die Überwindung alltäglicher Konfliktsituationen die ständige Bereitschaft zum Dialog. Mehr denn je brauchen wir Menschen, die zum Gespräch über die Fronten und über die Grenzen hinaus bereit sind. Solche Brückenbauer und Grenzgänger sind oft nicht besonders beliebt. Aber sie haben eine große Chance, je mehr sich Gegensätze und Spannungen in der Gesellschaft zuspitzen und zu verhärten drohen.

Oder anders ausgedrückt: Zivilcourage sollte so selbstverständlich werden, dass sie aufhört, Courage zu sein, einfach, weil man sich aussprechen darf und aufeinander hört. Die beherzte Aussprache – nach Theodor Heuss eine "heilsame Kraft" – könnte klimaverbessernd wirken, Vertrauen schaffen und vor allem jenes sichere Bescheidwissen, unter dessen Mangel so viele Menschen leiden, die einfach nicht wissen, woran sie mit ihrem Gegenüber oder mit dem, der Macht über sie ausübt, eigentlich sind.

Denken wir dabei auch an den leitenden Amtsträger, also den Machthaber.

Auch er ist ein Mensch. Der Selbstherrliche, der Autokrat ist meist einsam und auf Zugang und Zuspruch, Kontakt und Kritik angewiesen. Er erfährt sie aber nicht, weil viel zu viele Kritik denken, ohne sie zu äußern. Gedachte Kritik ist nicht viel wert: Sie fördert Neurosen und vergiftet Beziehungen. Demokratie lebt vom offenen Vertrauen, das Differenzen ausspricht und nicht verbirgt. So sagt Goethe – sonst nicht gerade der ideale Kronzeuge für Zivilcourage –: "Den Menschen und den Sachen gerade in die Augen zu sehen und sich dabei auszusprechen, wie einem eben zumute ist, dieses bleibt das Rechte, mehr soll und kann man nicht tun." Oder Theodor Fontane – noch freundlicher: "Der Mut, den wir einzig und allein gebrauchen können, ist das Resultat der Liebe, der Pflicht, des Rechtsgefühls, der Begeisterung und der Ehre. Er ist nicht angeboren, sondern er wird, er wächst."

Können wir also annehmen, dass Zivilcourage erlernbar ist? Und worauf sollten wir achten – schon um uns nicht in die aussichtslose Ecke zu manövrieren, in der die  Querulanten, Rechthaber und Fanatiker sitzen?

 

Einige Regeln für die Praxis

Zunächst negativ: Man sollte das Notwendige bis zur letzen Möglichkeit vertreten, aber nicht das Unmögliche zu erzwingen versuchen, um daran nicht zu zerbrechen und die Sache, um die es geht, nicht zu Tode zu reiten. Das geschähe durch die Verwendung rabiater, erpresserischer Mittel, Intrigen im Kleinen und publizistische Hetzagitationen im Großen. Auch bei einer legitimen Maßnahme: Arbeitnehmerstreik, Studentendemonstrationen oder wahrheitsgemäßer Berichterstattung ist zu fragen: Nützt oder schadet sie der Sache und dem wohlverstandenen Allgemeininteresse? Immer aber stehen Demonstrationen ohne Gewalt und Drohung der Zivilcourage besser an.

Die Ziele müssen deutlich erkennbar sein: Zivilcourage ist Zielcourage. Gezielte Demonstrationen haben schon viel erreicht und erreichen hoffentlich überall da, wo Menschen und ihre Freiheiten unterdrückt werden, die Umkehr zu einer Demokratie, die Menschenwürde und Menschenrechte achtet!

Ein paar Hinweise und Hilfen für den Einzelnen, der sich im Augenblick der Herausforderung leicht allein gelassen fühlt:

-          Zunächst mache ich mir die Sachlage und natürlich auch die Rechtslage klar: Bin ich im Recht, wenn ich etwas angreife oder kritisiere?

-          Dann versuche ich, Herr meiner Gefühle und Energien zu werden. Ich muss mich entschließen, mir einen Ruck geben und aus meiner Passivität heraustreten.

-          Darauf muss ich mir die Worte und Schritte überlegen, mit denen ich auf eine Situation einwirken will. Oft ist es allerdings auch richtig, ganz spontan auf eine Herausforderung zu antworten, in einem Notfall zuzuspringen.

-          In der Regel werde ich mich auf ein energisches und klares Wort ohne Zorn- und Wutausbrüche beschränken und nur im äußersten Notfall mit der Tat eingreifen.

-          Ich frage mich auch: Wie hoch ist mein Risiko? Werde ich hier gebraucht oder muss ich andere hinzuziehen? Verbündet und gemeinsam hat man meistens mehr Erfolg.

-          Nicht sich drücken, sondern sich ausdrücken ist die Devise, die weiterhilft. Mich befreit sie und macht sie stärker – dem anderen hilft sie und gibt ihm neuen Mut.

Diese Regeln scheinen mir das Grundmuster eines Verhaltens zu sein, das  wir auch in der Demokratie in das komplizierte Netzwerk der alltäglichen Beziehungen eintragen müssen und das – um wenigstens zum Teil im Bild zu bleiben –  zugleich das Auffangnetz für den demokratischen Drahtseilakt ist. Denn die institutionelle Demokratie lebt stets in einer gefährdeten Balance, die in der Krise nur dann nicht im Absturz endet, wenn sie sich auf ein eingeübtes System der Bürgercourage verlassen kann, die Missstände schnell erkennt und überwindet, weil sie gewohnt ist, das Recht nicht nur zu genießen, sondern auch zu vertreten.

Anders als die Tapferkeit vor dem militärischen Gegner, die oft der Todesverzweiflung entspringt, lebt die Zivilcourage aus Lebensmut und Lebenshoffnung. So verstand sie auch John F. Kennedy. Am Schluss seines Buches mit dem Titel 'Zivilcourage', das längst ein Klassiker ist, schrieb er: "Lebensmut mag oft weniger dramatisch erscheinen als letzter Todesmut... Um Zivilcourage zu beweisen, bedarf es keiner außerordentlichen Fähigkeiten... Auf welchem Kampfplatz des Lebens auch Mut gefordert wird, welches Opfer wir unserem Gewissen auch bringen müssen – Verlust von Freundschaft, von materiellem Vorteil, von Gemütsruhe, ja sogar der Achtung unserer Mitmenschen –, jeder von uns muss letzten Endes immer wieder allein entscheiden, welchen Kurs er einschlagen will. Wir können aus historischen Berichten von Zivilcourage... lernen, wir können Hoffnung und Eingebung von ihnen empfangen, doch nicht Zivilcourage selbst. Diese muss jeder in seiner eigenen Seele suchen."

Sie setzt also innere Freiheit voraus, aber sie ist auch die Voraussetzung der Freiheit unseres Gemeinwesens.

Die Freiheit ist keine Torte, die genossen, sondern ein Muskel, der trainiert werden will. Ein nur passives und formales Verständnis der Freiheit und der Demokratie ist auf die Dauer gefährlich, ja tödlich. Zivilcourage – sozusagen die Macht der Ohnmächtigen – ist als solche eine sowohl politische wie elementar christliche Tugend unter dem Anspruch des Petruswortes: "Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen."

So gehört sie im Grunde nicht nur in den staatlichen Katalog von Bürgerrechten, in den ethischen von Bürgertugenden, in den pädagogischen von Lernzielen, sondern auch in den christlichen Wertekanon. Daran erinnert auch Dietrich Bonhoeffer, der evangelische Theologe, der wegen seiner Beteiligung am 20. Juli kurz vor Ende des Krieges hingerichtet wurde. Beeindruckt durch die Nachricht vom Misslingen des Attentats und den sicheren Tod vor Augen, schrieb er ein Gedicht, aus dem diese Zeilen unsere Überlegungen abschließen sollen:

 

"Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen,

nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen,

nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit.

Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens,

nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen,

und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend empfangen."

 

(Siehe auch: Ulrich Beer „Lebenskraft aus Lebenskrisen“, Echter-Verlag Würzburg 2000, 344 Seiten, 20 Euro)

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Je reifer die Trauben, desto besser der Wein

Der Schriftsteller Ulrich Beer feierte seltene Jubiläen und ergänzt die Vielzahl seiner Bücher durch eine kompakte und handliche Zusammenfassung seines Gesamtwerkes, die kleinen Lebenshelfer.

Von Siegfried Scharf

Eisenbach (SIS). Ist es Zufall oder Fügung? Gerade am Tag des 100jährigen Jubiläums von Rotary International (23. Februar 2005) konnte ein überzeugter Rotarier ein Doppeljubiläum begehen: Es ist der Schriftsteller Prof. Dr. Ulrich Beer, Eisenbach-Oberbränd, der vor fünfzig Jahren sein Doktorexamen gemacht hat und just jubiläumsbezogen mit fünfzig kleinen Lebenshelfern überrascht, die im Rahmen einer neuen Schriftenreihe des Centaurus Verlages Herbolzheim herausgekommen sind.

Kreativ war Ulrich Beer schon immer. Das verdeutlichen seine geschriebenen achtzig Bücher, die der 73jährige aneinander gereiht, ordentlich auf seinem großen Schreibtisch in seiner Wahlheimat Oberbränd aufgestellt hat. Seine Kreativität stellte er auch gerade jüngst unter Beweis, als er den neuen Verein „Förderkreis Kreatives Eisenbach“ mit initiierte, in dem es darum geht, junge Talente für die Schriftstellerei zu interessieren und Stipendien zu vergeben.

 Zu seinem kreativen gesellt sich gerade in diesem Jahr auch das produktive Schaffen hinzu. Wo gab es das schon, dass ein Autor in einem einzigen Jahr fünfzig Bücher mit je fünfzig Seiten Inhalt herausbringt? Zugegeben, dass er das nur mit einem reichen Fundus an Lebenserfahrungen tun konnte, an dessen Anfang seine Doktorarbeit stand.

Diese entstand während seines Studiums an der Rheinischen Friedrich Wilhelm Universität in Bonn. Er promovierte über das Thema „Die Ausdruckstheorie von Charles Darwin und ihre Kritik" - eine Dissertation, die auch als Buch heraus kam, das aber wie so viele seiner Bücher inzwischen vergriffen ist. Deshalb reifte in ihm die Idee, aus dem Vollen seiner schriftstellerischen Arbeiten zu schöpfen und eine fünfzigbändige „Beerenauslese“ zusammenzustellen. Dabei kamen ihm seine bisherigen beruflichen Tätigkeiten zugute; denn viele wissen, dass er dreißig Jahre lang die ZDF-Sendung „Ehen vor Gericht" fachlich begleitet hat und bei vielen Vorträgen und Seminaren Ratschläge und Lebenserfahrungen vermittelte. Manche gefährdete Ehe hat der „Doktor der Philosophie" wieder gekittet; meist nach persönlichen Beratungen. Solche nahm er 15 Jahre lang auch in den Medien vor. Wer weiß schon, dass er über 25.000 Zuschriften schriftlich beantwortet hat?

Als er seine Gedanken beim Centaurus Verlag Herbolzheim ausbreitete, kleine Lebenshelfer herauszugeben, fand er sofort ein offenes Ohr. Mit diesem Verlag arbeitet er nämlich bereits seit Jahren zusammen. Er brachte dort die Schriftenreihe „Lebensformen“ heraus, für die er verantwortlich zeichnet. Inzwischen sind von 33 geplanten Bänden dieser Reihe 24 erschienen, unter ihnen auch Bücher der einheimischen Autorinnen und Autoren Roswitha Stemmer-Beer, Dr. Rudolf Köster und Siegfried Scharf.

Für die angelaufene neue Schriftenreihe „Kleine Lebenshelfer" scheint der Erfolg schon vorprogrammiert zu sein. Das zeichnet sich bereits jetzt ab; denn die Nachfrage ist sehr groß. Was hier der Leser besonders schätzt, ist, dass nicht langatmig, sondern kompakt und komprimiert, facettenreich und farbig die Probleme angegangen und gangbare Lösungswege aufgezeigt werden. Hinzu kommt, dass die Bände kleiner sind als das normale Taschenbuchformat und dass sich fünfzig Seiten Inhalt auch auf einen erschwinglichen Preis auswirken. Ein weiterer Vorteil: Der Leser kann sich auf (s)ein bestimmtes Thema konzentrieren.

Und für eine Themenvielfalt wird garantiert. Die ersten Bände behandeln die Themen Partnerfindung, Beziehung, Außenkontakte, Eifersucht, Gegensätze, Väter, Sexualerziehung und Kreativität. Zu den kleinen Lebenshelfern gehören Geschwisterrollen, Kinderfernsehen, Autorität, Intimbegegnung und Entscheidung. Von Ehefrau und Ehemann ist die Rede, von Lerntechnik, Erfolg, Vorurteilen, Eheleben und Krisen. Wissen über Altersliebe, Bibelweisheiten, Trennung, Pubertät, Familiendemokratie, Freizeitfamilie und die Mutter wird vermittelt. Ulrich Beer spricht ebenfalls Themen an, wie Sexualität, Sprachausdruck, Zeithaben und Selbstwertstärkung. „Ehekriegsspiele" werden in zwei Bänden entwickelt und dargestellt. Man erfährt über Humor, Glück, Motivation, Einzelkind, Familienplanung und Gottvertrauen, über Alleinsein, Alter, Lebensängste, Familie, Sucht, Scheidung und Verliebtheit. Und schließlich werden in zwei weiteren Bänden Aussagen über Handschriften (eine Spezialität von ihm als Graphologen) und Farben getroffen. Wer also ein bestimmtes Thema sucht, wird sicher fündig.

Die Quellen scheinen unerschöpflich zu sein und man bekommt auf insgesamt 2.500 Seiten bestätigt, dass Ulrich Beer aus dem umfangreichen Reservoir seines Schaffens die Perlen herausgepflückt hat. Wer nämlich in den einzelnen Bänden liest, mag zu dem Urteil gelangen: Ulrich Beers „Beerenauslese“ ist voll geglückt; denn je reifer die Trauben im Alter, desto besser der Wein.

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Alle Bücher sind zum Preis von EUR 7.90 im Buchhandel erhältlich.

Kleine Lebenshelfer

Bd.01: Partnerfindung - das zärtliche Abenteuer • Bd.02: Beziehung - wenn sie fester wird • Bd.03: Außenkontakte - Freunde und andere Gelegenheiten • Bd.04: Eifersucht- Schutzschild der Liebe? • Bd.05: Gegensätze- und ihr konstruktiver Ausgleich • Bd.06: Vater - heute erst recht gefragt! • Bd.07: Sexualerziehung - wann beginnen und was sagen? • Bd.08: Kreativität - wie ist sie zu fördern? • Bd.09: Geschwisterrollen - von Prinzen und Nesthäkchen • Bd.10: Kinderfernsehen - Bildung vom Bildschirm? • Bd.11: Autorität – wieviel Freiheit muß sein? • Bd.12: Großeltern - ein gar nicht nebensächliches Amt • Bd.13: Intimbegegnung - soll man? Soll man nicht? • Bd.14: Entscheidung - wir haben die freie Wahl • Bd.15: Ehefrau - morgen wirst Du es sein! • Bd.16: Ehemann - morgen wirst Du es sein! • Bd.17: Lerntechnik - wie geistige Arbeit leichter fällt • Bd.18: Erfolg - wie gewinnen wir ihn? • Bd.19: Vorurteile - recht­zeitig erkennen und überwinden • Bd.20: Eheleben - ein Revierkampf? • Bd.21: Krisen - Gefahr und Chance • Bd.22: Altersliebe - jenseits von Gut und Böse? • Bd.23: Trauer - ja, aber das Leben geht weiter • Bd.24: Bibelweisheit - sie hilft auch heute noch • Bd.25: Trennung - glücklich allein, allein glücklich? • Bd.26: Pubertät - Reifung und Ichfindung • Bd.27: Familiendemokratie - Hosenmätze werden Staatsbürger • Bd.28: Mutter - Mädchen für alles? • Bd.29: Freizeitfamilie - konsumieren oder gestalten? • Bd.30: Sexualität - zwischen Verklemmung und Enthemmung • Bd.31: Sprachausdruck - reden und schreiben sollte man können • Bd.32: Zeithaben - wie plane ich richtig? • Bd.33: Selbstwertstärkung - mehr Mut zu mir! • Bd.34: Ehekriegsspiele I - typische Konfliktmuster • Bd.35: Ehekriegsspiele II - Beratung und Hilfe • Bd.36: Humor - die Heilkraft des Herzens • Bd.37: Glück - Zufall oder Leistung? • Bd.38: Motivation - gewinnen und überzeugen • Bd.39: Einzelkind - Charakter und Chancen • Bd.40: Familienplanung - wie ist es richtig? • Bd.41: Gottvertrauen - die religiöse Erziehung • Bd.42: Alleinsein - furchtbar oder fruchtbar? • Bd.43: Alter - Defizit oder Lebensfülle? • Bd.44: Lebensängste - wie damit leben? Wie über­winden? • Bd.45: Familie - Auslauf- oder Zukunftsmodell? • Bd.46: Sucht - die halbierte Sehnsucht nach mehr . . . • Bd.47: Scheidung - weh tut sie allen, besonders den Kindern • Bd.48: Verliebtheit - wie sie zur Liebe reift • Bd.49: Handschrift - was sagt sie aus? • Bd.50: Farben - was sie ausdrücken und wie sie wirken

Eine Auflistung aller Bücher dieser neuen Reihe "Kleine Lebenshelfer" finden Sie auch auf dieser Seite des Centaurus Verlags mit einem Klick! Sie können sie dort auch online bestellen.

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